„Online shoppen? Finde ich phänomenal!“
Wouter van Benten kommt mit dem Elektroauto zum Interview nach Zaltbommel. Das passt, denn dort hat der CEO von DHL Parcel Benelux vor wenigen Wochen das größte und grünste Sortierzentrum der Niederlande eröffnet. Nachhaltigkeit hat sich der Konzern auf die gelb-rote Fahne geschrieben: Bis 2050 will die Deutsche Post DHL Group alle logistikbezogenen Emissionen auf Null reduzieren. Weltweit. Doch welche Mobilitätskonzepte, welche bahnbrechenden Innovationen braucht es dafür? Ein Gespräch über Paketdrohnen, grenzüberschreitende Infrastruktur und den Online-Shopping-Boom.
Herr van Benten, bestellen Sie eigentlich selbst gerne online?
Ja! Meine Frau findet es manchmal sogar übertrieben. Aber ich habe die Annehmlichkeit zu schätzen gelernt. Anfangs hab‘ ich nur Bücher online bestellt. Inzwischen fällt mir keine Kategorie ein, die ich nicht durchforste. Ein bis zweimal die Woche klingelt bei uns der Zusteller mit einem Paket in der Hand. Und da ist alles dabei: von Schuhen über Wein bis hin zu Lampen oder einem Rasenmäher. Online shoppen? Finde ich phänomenal!
Dann liegen Sie voll im Trend. Das E-Commerce-Business wächst rasant. Ein Grund, warum dieses 30.000 Quadratmeter große Paketsortierzentrum notwendig geworden ist. Das 21ste in den Benelux-Ländern. Was macht es so besonders?
Es ist eines der größten Sortierzentren seiner Art überhaupt und kommt völlig ohne Gas aus. Mit den 11.000 Solarzellen auf dem Dach können wir nicht nur das zwei Kilometer lange Sortierband betreiben, sondern auch unsere elektrischen Autos aufladen. Am Tag werden bis zu 500.000 Pakete sortiert. Das ist natürlich eine extrem komplexe logistische Operation. Denn es geht nicht allein um das Sortieren, sondern auch um das Be- und Entladen von täglich bis zu 700 Lkw.
Und doch wird die Kapazität von Zaltbommel schon in wenigen Jahren nicht mehr ausreichen. Aber wie viel Verkehr können die Städte noch vertragen?
Unsere Lieferwagen fallen auf. Die meisten denken darum, dass der Paketsektor für enorm viel Bewegung auf den Straßen sorgt. Dem ist aber nicht so: In den Niederlanden sind 800.000 Transporter unterwegs. Davon sind nur 25.000 aus unserer Branche. Außerdem ist der Markt in den Niederlanden mit zwei großen Playern ziemlich konzentriert. Damit kommt es auf den letzten Metern der Zustellung zu einer Konsolidierung. Wenn wir in die Städte fahren, sind die Lieferfahrzeuge also ziemlich voll. Die Auslieferung wird stets effizienter und der CO2-Ausstoß pro Paket stets geringer.
Aber an jeder Haustür zu klingeln, hört sich nicht sehr effizient an.
Das ist halb so wild. Es gibt so viele Online-Shopper, dass wir in jeder Straße mehrere Adressen ansteuern. Nur elf Prozent sind beim ersten Zustellversuch nicht zuhause. Sie gehen dann zu einem der Service-Punkte, wo Kunden ihr Paket abholen können, wann immer sie Zeit haben. Wir versuchen in den Niederlanden ohnehin immer mehr, Pakete an den beinahe 3.000 Service-Punkten abzuliefern. Und es gibt immer mehr Packstationen, an denen man seine Bestellung mit einem Code Tag und Nacht abholen kann.
Und wie entkommen Kuriere in verwinkelten Innenstädten den Hupkonzerten genervter Autofahrer?
Wir haben viele unterschiedliche Fahrzeuge, die eigens für Städte konzipiert wurden und entsprechend klein sind. Typisch niederländisch sind unsere Lastenfahrräder, die hier entwickelt wurden und jetzt auch in anderen Ländern Erfolg haben. Teil der Konzernstrategie sind selbst entwickelte elektrische Lieferfahrzeuge. Die Tochterfirma StreetScooter produziert in Düren und Aachen E-Transporter – weil Automobilhersteller bei der Entwicklung hinterher hinkten.
Wieso gelingt DHL, was die Industrie nicht schafft?
DHL ist hier zwangsläufig zum Pionier geworden: Einfach, weil es vor einigen Jahren kein ausreichendes Angebot für elektrische Fahrzeuge gab. Also haben wir in Zusammenarbeit mit der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen selbst mit der Entwicklung begonnen. 2016 ist die Serienproduktion gestartet. Der Vorteil ist, dass die Flotte perfekt an die Anforderungen von Paketzustellern angepasst ist – auch ergonomisch.
In den Niederlanden sind inzwischen 400 E-Fahrzeuge unterwegs und damit ein Baustein der GoGreen-Kampagne von DHL. Wie wichtig ist ein grünes Image für den Unternehmenserfolg?
Kein Unternehmen kann das Thema links liegen lassen. Und wir haben die Pflicht, hier zu handeln. Hinzu kommt: Junge, qualifizierte Mitarbeiter entscheiden sich lieber für einen Arbeitgeber mit einer nach haltigen Firmenphilosophie. Die Deutsche Post DHL Group hat den Klimaschutz in der DNA. Es wird viel getan, um den CO2-Fußabdruck pro Paket zu minimieren – beispielsweise durch E-Autos, Solarenergie und nachhaltige Gebäude. Oder die konsequente Optimierung von Zustellrouten durch intelligente Software, damit so wenig Kilometer wie möglich gefahren werden. In den Niederlanden ist der Lieferprozess seit 2012 um 30 Prozent effizienter geworden.
Geforscht wird an bahnbrechenden Lösungen für die Logistik insbesondere in den Innovation Centers in Deutschland, Singapur und Chicago.
Ja, und in Troisdorf bei Bonn sind wir mit unseren Kunden regelmäßig zu Gast. Aber natürlich bringen auch wir uns in den Innovationsprozess ein. Insbesondere auf dem Gebiet der Digitalisierung sind die Niederlande führend. Wir haben ein relativ großes Digital-Innovation-Team im Haus, das Apps und Portale entwickelt. Innovation bedeutet: ausprobieren, fallen und wieder aufstehen. Hier kann nicht genug investiert werden. Viele unserer Ideen werden von anderen Ländern übernommen.
Sie setzen also auf Kooperationen?
Ich bin überzeugter Europäer und habe in vielen Ländern gelebt. Es gibt so viele gute Ideen in jeder Ecke der Welt und wir können noch viel voneinander lernen. Wir sollten uns noch häufi ger an einen Tisch setzen und uns austauschen. Gemeinsam kommen wir schneller voran. Alleine die Welt verbessern? Das gelingt nicht.
Sie haben gerade die Digitalisierung angesprochen. Wird sie das Zustellgeschäft revolutionieren?
Absolut. Das Smartphone wird die Fernbedienung für dein Paket. Du kannst steuern, wann und wohin du es geliefert bekommen möchtest. Du kannst noch während des Zustellprozesses entscheiden, dass du es doch lieber beim Nachbarn und nicht an einem Servicepunkt abholen möchtest. So wird der Lieferprozess über ein digitales Interface stets besser.
Diese Entwicklung sehen wir schon jetzt. Aber werfen wir einen Blick in die Zukunft. Der Hyperloop, also der Hochgeschwindigkeitstransport durch eine Röhre, Paketdrohnen, Last-Mile-Roboter: Wie sieht die Zustellung von morgen aus?
Ich persönlich finde Paketdrohnen völlig überschätzt. Die flächendeckende Zustellung? Sehe ich nicht kommen. In Benelux stellen wir täglich durchschnittlich 500.000 Pakete zu. Wenn man sich das mit Drohnen vorstellt, wird es über unseren Köpfen hektisch. Einen solchen Bienenkorb am Himmel kann ich mir nicht vorstellen. Das ist höchstens etwas für abgelegene Orte. Andere Technologien hingegen sind sicherlich auf dem Vormarsch.
Was ist dann Ihre Vision?
Die Robotisierung wir enorm zunehmen und das ist auch notwendig, denn der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Je besser die einzelnen Schritte automatisiert sind, desto weniger Hände haben wir nötig. Eine Herausforderung ist auch der grüne Transport: Elektrische Lkw sind noch immer ein schwieriges Thema, hier wird Wasserstoff künftig auch eine Rolle spielen. Während in den Niederlanden die E-Ladestruktur besser ist, gibt es in Deutschland mehr Wasserstofftankstellen. So können beide Länder voneinander lernen.
Deutschland ist der wichtigste Handelspartner für die Niederlande. Viele Sendungen gehen ins Nachbarland. Wie bewerten Sie die grenzüberschreitende Infrastruktur?
Ich weiß, dass in Deutschland Unzufriedenheit über die Infrastruktur herrscht. Ich bin natürlich auch selbst viel dort und muss sagen: An einigen Punkten kann noch nachgebessert werden. Wenn es um die digitale Infrastruktur geht, sind die Niederlande einen Schritt weiter. Ich gebe nur ein kleines Beispiel: Wenn ich in Deutschland bin, habe ich noch sehr oft Bargeld nötig – vom Parkhaus bis zur Kantine. Zu Hause ist es selbstverständlich, auch beim Bäcker mit Karte zu bezahlen.
Logistik ist natürlich auch Mobilität, und Transport fasziniert Sie ungemein. Sagen Sie uns: Wie werden wir in ein paar Jahren in den Städten unterwegs sein?
Das ist eine interessante Frage und bei diesem Thema kann ich sehr leidenschaftlich werden. Ich wohne in Rotterdam und arbeite in Utrecht. Lange bin ich mit dem Auto gefahren, weil ich ein veraltetes Bild von Bus und Bahn aus meiner Studentenzeit vor Augen hatte. Nahverkehr war damals vor allem eines: mühsam. Inzwischen nehme ich an den meisten Tagen den Zug. Eine gute Infrastruktur für öffentliche Verkehrsmittel ist die beste Art um Staus zu vermeiden und CO2 einzusparen. Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann davon, dass Deutschland und die Niederlande hier weiter intensiv investieren müssen. Und: Sharing ist the name of the game!
Sie meinen Carsharing?
Unter anderem. Mit dem Smartphone haben wir unsere Mobilität praktisch in der Tasche und bestimmen mit einen Fingerwisch, wie wir uns fortbewegen: Du nimmst den Zug, mietest danach ein Rad, einen E-Scooter oder teilst ein Auto, wenn du ein Wochenende weg möchtest. Ich glaube fest an die Zukunft von „Mobility as a Service“ und finde es unglaublich, dass es in den Niederlanden acht Millionen Autos, gibt die den größten Teil des Tages am Straßenrand stehen.