NXP-Chef Kurt Sievers über sein erstes Jahr beim niederländischen Chipgiganten
Seit Mai 2020 steht der deutsche Ingenieur Kurt Sievers am Steuer von NXP. Der niederländische Konzern gehört mit Infineon zu den weltweit führenden Autochipherstellern und hat im Coronajahr 2020 durchaus eine Achterbahnfahrt hinter sich. Wir sprechen mit dem neuen CEO über sein erstes Jahr und die Bedeutung der deutsch-niederländischen Zusammenarbeit.
Sie haben den NXP-Vorsitz mitten in der Corona-Krise übernommen. Mit welchem Wort würden Sie Ihr erstes Jahr beschreiben?
Turbulent. In der ersten Jahreshälfte haben unsere Kunden weltweit in der Mehrzahl unserer Endmärkte aufgrund der Pandemie ihre Fertigungsstätten geschlossen – das ist noch nie dagewesen. In der zweiten Jahreshälfte kam die Nachfrage glücklicherweise sehr rasch zurück, so dass unser viertes Quartal sogar 9 Prozent besser war als im Vorjahr vor Beginn der Pandemie und die Zeichen auch weiterhin auf robustes Wachstum stehen.
Also zwei völlig unterschiedliche Jahreshälften…
… und zwei völlig unterschiedliche Business-Trends. Heute kämpfen wir – so wie die gesamte Halbleiterindustrie – um den unerwartet schnell gestiegenen hohen Chipbedarf weltweit zu decken. Bei all den Marktturbulenzen durften und dürfen wir aber nie unsere wichtigste Priorität aus dem Auge verlieren: die Sicherheit und Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ohne deren Anpassungsfähigkeit, Entschlossenheit und harter Arbeit wäre es nicht möglich gewesen, dieses turbulente erste Jahr erfolgreich zu meistern.
Der Hauptsitz von NXP ist in Eindhoven, Sie führen den Konzern aber von Hamburg aus. Wie hat das funktioniert?
Gut. NXP ist ein globaler Player – wir haben Kunden überall auf der Welt. Unser Management-Team ist auf der ganzen Welt verteilt und wir sind es gewohnt, in Teams über unterschiedliche Zeitzonen und Kontinente hinweg zusammenzuarbeiten. Flexibilität, flache Hierarchien und Vertrauen in die Fähigkeiten meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – das sind Aspekte unserer Unternehmens- und Führungskultur, die uns im letzten Jahr sicherlich sehr geholfen haben.
Wie hat Corona Ihren Managementstil beeinflusst?
2020 hat uns noch deutlicher gelehrt, dass der physische Standort, an dem sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befinden, nicht so wichtig ist. Das vergangene Jahr hat uns aber auch gezeigt, welche Rolle menschliche Beziehungen spielen – ob zu KollegInnen, Investoren oder Kunden. Besonders in den Momenten, in denen man sich auf andere Menschen verlassen muss, lernt man, wie wichtig menschliche Beziehungen eigentlich sind. Während der Pandemie habe ich zeitnah viele Entscheidungen treffen müssen, beispielsweise die Home-Office Regelungen. Wir konnten schneller handeln als viele Regierungen oder andere Institutionen. Diese Entscheidungen waren genau richtig, aber nicht allein meine: Ich hatte den Mut, auf meine Berater zu hören und schnell zu handeln.
NXP ist ein globaler Konzern. Wie wichtig ist der deutsche Markt für Sie?
Knapp die Hälfte unseres Umsatzes machen wir im Automobil-Bereich, unsere größten Kunden sind in Deutschland. Gleichzeitig ist Deutschland stark in dem für uns wichtigen Wachstums Segment Industrie 4.0. Es sind aber nicht nur Markt und Kunden, die Deutschland für uns so interessant machen: Es gibt hier eine sehr hohe Entwicklungsexpertise in unseren strategischen Wachstumsbereichen Autonomes Fahren, Security, Industrie 4.0. Daher investieren wir hier mit Fokus auf Forschung und Entwicklung – 2019 fast 100 Millionen Euro – und beschäftigen rund 900 Entwicklerinnen und Entwickler.
Wenn wir auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas schauen, wie wichtig ist in diesem Zusammenhang eine deutsch-niederländische Zusammenarbeit für die Halbleiterindustrie?
Das beste Beispiel für die deutsch-niederländische Zusammenarbeit in der Halbleiterindustrie ist Smart Mobility – also Technologien, die Mobilität sauberer, sicherer und bequemer machen. Die Niederlande haben in diesem Bereich ein sehr erfolgreiches Innovationscluster mit weltweit führenden Automobilzulieferern wie Inalfa, TomTom und NXP. NXP hat in den Niederlanden seinen Hauptsitz und betreibt hier außerdem Halbleiterfabriken und Forschungs- und Entwicklungszentren. Insgesamt ist Deutschland einer der wichtigsten Handelspartner der Niederlande – das deutsch-niederländische Handelsvolumen betrug im Jahr 2020 rund 172 Milliarden Euro und ist damit vergleichsweise größer als das deutsch-französische oder deutsch-US-amerikanische Handelsvolumen. Wir können also zu Recht sagen, dass die deutsch-niederländische Beziehung für beide Länder und auch für NXP von großer Bedeutung ist.
Interview: Katrin Brodher Fotos:NXP