NiederlandeTag 2021: Systemwende in der Landwirtschaft
Peter Vermeij, Botschaftsrat für Landwirtschaft bei der niederländischen Botschaft in Berlin, sieht viele Chancen für Unternehmen in der Landwirtschaft, vorausgesetzt, dass Deutschland und die Niederlande hier eng zusammenarbeiten.
Seit September 2018 ist Peter Vermeij in der niederländischen Botschaft auf dem Gebiet tätig, in dem seine Passion liegt: die Landwirtschaft. „Es sind spannende Zeiten, da der Druck aus der Gesellschaft und der Politik auf diesen Sektor derzeit ganz massiv ist“, sagt Vermeij. „So wie die Landwirtschaft jetzt funktioniert, kann es nicht mehr weitergehen. Unsere Erde kommt an ihre Grenzen. Deshalb muss die Landwirtschaft nachhaltiger gestaltet und neue Wege gefunden werden, um wieder von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Die übergreifende Frage dabei ist: Wie können wir die Landwirtschaft so einrichten, dass die Natur nicht belastet wird und der Landwirt auch noch einen fairen Preis für seine Produkte und damit ein gutes Einkommen bekommt?“
Wer die Frage stellt, muss sie auch beantworten, ist eine niederländische Redensart. Digitalisierung und Technik können dabei helfen. Und auch Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Niederlanden, um nicht überall das gleiche zu erfinden. Vermeij sieht sich selbst als Verbinder, der die richtigen Spieler zusammenbringt. „Die Niederlande behalten stets die gesamte Kette im Hinterkopf. Wenn ein Roboter Tomaten erntet, denken Niederländer auch gleich an die Logistik: Wie gelangen die Tomaten danach in den Supermarkt? Deutsche befassen sich dagegen gern mit einem Teil der Kette, den sie dann auch perfekt beherrschen.“
Zurück zur Digitalisierung: Daten sammeln ist eine Sache, aber für eine erfolgreiche Nutzung der Daten müssen diese auch verfügbar sein, zum Beispiel über gemeinsame Datenplattformen. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, Daten zu teilen und gut vor Fremdzugriffen zu schützen. Für Landwirte ist es wichtig, dass Datennutzung nicht zu teuer ist, Daten überschaubar sind und Tools oder Apps einfach in der Anwendung sind. Nicht nur der IT-Bereich steckt da in den Kinderschuhen, auch der Einsatz von Robotern wirft so manche Fragen auf. Ein Beispiel ist der weltweit erste Spargelernte-Roboter des niederländischen Scale-ups Cerescon, über den wir bereits auf dem Blog berichtet haben. Landwirte, die zum Beispiel ihren Spargel bisher von Saisonarbeitern stechen ließen, fragen sich, ob die Roboter wohl die gleiche gute Arbeit leisten, die Wartung gesichert ist und ob der Roboter-Lieferant in fünf Jahren noch existiert.
„Neben dem Einsatz von Technologie, die ich mehr als Hilfsmittel sehe, brauchen wir auch einen Systemwandel in der Landwirtschaft“, so der Botschaftsrat. Und da kommen der Staat und der Konsument ins Bild. Von staatlicher Seite muss Gesetzgebung her, die nötigen Fördermittel bereitgestellt und den Landwirten Planungssicherheit gegeben werden. „Landwirte brauchen eine langfristige Orientierung statt jedes Jahr neue Ziele, um ihre Investitionsangst zu überwinden.“ Der Konsument wiederum muss gut informiert werden. „Tomaten aus dem Gewächshaus haben ein negatives Image, Konsumenten lassen sie darum häufig liegen. Sie wissen nicht, dass die Tomaten auf Substraten wachsen und dadurch kaum Wasser und fast keine Pestizide benötigen.“
Nach der landwirtschaftlichen Produktion von Lebensmittel kommt deren industrielle Verarbeitung und letztendlich der Konsument, der, wenn zu viel eingekauft wird, Lebensmittel verschwendet. Auch bei diesen Themen sieht Vermeij große Chancen für Technik und IT: das durchgehende Messen bei der Verarbeitung anstelle der zeitaufwendigen Stichproben jetzt und der Einsatz von IT, um Verschwendung (gut für 8% des CO2-Ausstoßes) zu verringern. Beide Länder sind auf diesen Gebieten aktiv und müssen das vor allem auch bleiben, wenn es nach Vermeij geht, denn sie können viel voneinander lernen und zusammen die Herausforderungen der Landwirtschaft meistern.