Mit Wearables aus den Niederlanden die Blase trainieren
Für viele ist es noch ein Tabuthema. Dabei betrifft Inkontinenz Millionen Männer und Frauen – nach Prostatakrebs, nach Schwangerschaften, in der Menopause. Und natürlich auch kleine Kinder. Die LifeSense Group bietet smarte Hilfe: Trainigsprogramme, intelligente Textilien und Wearables gegen Blasenschwäche. Jetzt geht der niederländische MedTech-Spezialist den deutschen Markt an. CCO Paul Swinckels erklärt wie.
Inkontinenz ist eine ungewöhnliche Spezialisierung. Wie kam es dazu?
Das ist auch eine ungewöhnliche Geschichte. Eine, die privates und geschäftliches verbindet. Unser Gründer, Dr. Valer Pop, war lange Jahre als Spezialist für medizinische Wearables bei der Technologieorganisation Imec tätig. Nachdem seine Frau Zwillinge zur Welt gebracht hatte und Schwierigkeiten hatte, ihre Blase zu kontrollieren, begann er nach Lösungen zu suchen. Mit „Carin“ entwickelte er eine App mit Beckenbodentraining für betroffene Frauen. In westlichen Ländern ist das übrigens fast jede dritte Frau nach einer natürlichen Geburt. In Absprache mit der Imec ließ Dr. Pop sich seine Erfindung patentieren und machte sich mit der LifeSense-Group selbstständig. Das war 2015.
Seitdem haben Sie auch Produkte für Männer und Kinder auf den Markt gebracht.
Ja, Männer leiden oft durch Prostataprobleme an Inkontinenz. Unsere Lösung „Wil“ kombiniert ein speziell auf Männer zugeschnittenes Beckenbodentraining mit einer smarten Textileinlage aus schnelltrocknendem Material. Sie sorgt für Sicherheit und sammelt über Sensoren Daten, mit denen ein Arzt das Training optimieren kann. Für Kinder bieten wir mit „Oopsie Heroes“ eine App, die spielerisch das nächtliche Bettnässen beendet oder als Töpfchentraining genutzt werden kann – übrigens vollkommen ohne Strahlung. Wir kommen ohne Wifi oder Bluetooth aus und nutzen stattdessen Schallwellen zur Datenübertragung.
Seit 2019 sind Sie über Distributionspartner in 36 Ländern aktiv. Den deutschen Markt gehen Sie erst in diesem Jahr an – wieso?
Das hat vor allem etwas mit den Zulassungsverfahren zu tun. In Deutschland kann die Zulassung trotz des inzwischen beschleunigten Verfahrens für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa) immer noch ein Jahr dauern. In dieser Zeit muss man unter anderem mit deutschen Partnern eine Studie zum Produkt durchführen. Unser Partner Hartmann, ein international tätiger Produzent von Medizinprodukten, wollte „Carin“ für westliche Frauen testen und entschied sich für Australien als Testmarkt. Die Ergebnisse werden von den deutschen Behörden aber nicht akzeptiert, deshalb sind wir zum Beispiel in Australien schon final zugelassen und in Deutschland erst vorläufig nach DiGa.
Der deutsche Markt ist für Sie aber interessant?
Ja, natürlich sehr. Nehmen wir allein unser Kinderprodukt „Oopsie Heroes“. In Deutschland gibt es rund 5,5 Millionen Kinder – ungefähr jedes zwölfte hat Probleme mit nächtlichem Bettnässen. Der Markt für kindertaugliche Wearables gegen Blasenschwäche ist also um ein Vielfaches größer als in den Niederlanden und auch größer als zum Beispiel in Frankreich.
Corona hat den Markt für digitale MedTech-Lösungen weltweit gebremst. Wie haben Sie darauf reagiert?
Tatsächlich haben wir bereits im März 2020 gemerkt, dass die Nachfrage auf dem asiatischen Markt einbrach. Im Klartext: Es kamen keine Bestellungen mehr rein aus einem Markt, der für uns sehr wichtig ist. Wir haben versucht, das Positive zu sehen, nämlich dass wir Zeit gewinnen. Und die haben wir für Innovationen genutzt. So haben wir unter anderem ein ganz neues Produkt entwickelt: „Plan Be“, eine Software, welche die Daten aus unseren Lösungen sammelt und dem Arzt zur Verfügung stellt. So kann er den Behandlungsplan genau auf den jeweiligen Patienten und dessen Fortschritte anpassen. Normalerweise würde so eine Produktentwicklung zwei Jahre dauern. Wir haben es in der Coronazeit in sechs Monaten geschafft.
Und was sind Ihre Pläne für 2021?
Wir verstehen uns inzwischen als Scale-up und wollen zur weltweiten Nummer eins für digitale Inkontinenzlösungen werden. Das gehen wir jetzt Schritt für Schritt an.
Interview: Katrin Brodherr Foto: Lifesense Group
Auf unserem Blog finden Sie noch mehr Innovationen aus Deutschland und den Niederlanden genauso wie frische Ideen und Business-Tipps aus dem DNHK-Netzwerk.
Wollen auch Sie Mitglied im größten deutsch-niederländischen Unternehmensnetzwerk werden? Auf der DNHK-Webseite finden Sie alle Vorteile.
Ansprechpartner
Kiona Jansen
Leiterin Mitglieder & Events