Energie 4.0 macht Erneuerbare verlässlich
Weg von Atom, Kohle und Gas hin zu den Erneuerbaren. Deutschland und die Niederlande gehen die Energiewende an. Nur sind Sonne und Wind nicht immer verfügbar. Wie können wir also die Versorgung sicherstellen und die Netze stabil halten? DNHK-Mitglied Next Kraftwerke GmbH hat eine grenzüberschreitende Lösung: das größte virtuelle Kraftwerk Europas.
Die Sonne kann man nicht anknipsen: Sie scheint – oder eben nicht. Auch das Windaufkommen schwankt. Für die Stromversorgung ist das ein Problem. „Stellen Sie sich das Netz vor wie eine Badewanne – nur mit Elektrizität statt Wasser“, sagt Hendrik Sämisch, einer der beiden Gründer und Geschäftsführer des mehrfach preisgekrönten Unternehmens. „Durch den Hahn können Sie Strom nachfüllen, durch den Abfluss ablassen. Dabei darf die Wanne weder überschwappen, noch leerlaufen.“
Die Natur ein bisschen steuerbarer machen
Mit konventionellen Kraftwerken lässt sich das leicht regeln. Sie können hoch- oder runterfahren – je nach Bedarf. Aber die Natur kann man nicht per Knopfdruck steuern. Noch dazu sind viele grüne Energieerzeuger klein und liegen weit verstreut. Um die Versorgung dennoch zuverlässig zu managen, haben Hendrik Sämisch und Jochen Schwill 2009 Next Kraftwerke gegründet.
„Wir schalten tausende dezentrale Anlagen zu einer großen zusammen und machen sie damit berechenbarer“, erklärt Sämisch das Prinzip. Wasserturbinen im süddeutschen Schwarzwald sind so digital mit Windkrafträdern im Nordrhein-Westfalen und einer Biogasanlage in Niedersachsen verbunden. Gesteuert werden sie zentral vom Firmensitz in Köln aus. Dafür setzt das Unternehmen, das auf der renommierten „Global Cleantech 100“-Liste steht, auf Big Data.
Mehr als 9.500 Anlagen bilden ein Kraftwerk
Der vollständig automatisierte Leitstand erhebt in Echtzeit Daten über die aktuelle Auslastung, erstellt Prognosen für die Zukunft und schaltet die einzelnen Werke entsprechend an oder ab – binnen Sekunden kann so auf den Bedarf des Marktes reagiert werden.
Mehr als 9.500 Anlagen in zehn Ländern sind in dem virtuellen Kraftwerk zusammengeschaltet. Damit ist es das größte in Europa – mit einer Leistung von 8.100 Megawatt (MW). Zum Vergleich: Ein mittlerer Atommeiler wie der im Emsland hat eine Nennleistung von rund 1.400 MW und kann laut Betreiber RWE 3,5 Millionen Haushalte versorgen.
Die Niederlande sind ein wichtiger Wachstumsmarkt
Seit drei Jahren ist Next Kraftwerke auch in den Niederlanden aktiv. Ein Markt, in dem die Firmenchefs großes Potenzial sehen. „Unsere Nachbarn haben die Energiewende später eingeleitet als Deutschland“, sagt Co-Gründer und -Geschäftsführer Jochen Schwill. „Deshalb gibt es noch Nachholbedarf bei der Flexibilisierung des Marktes, etwa was das Einspeisen dezentraler Quellen angeht. Das können wir nutzen.“
Die Verbindung mit dem Königreich ist eng. Im Frühjahr 2017 stieg der niederländische Stromversorger Eneco bei den Kölnern ein und hält seitdem eine Beteiligung von 34 Prozent. Wenige Monate später übernahmen Schwill und Sämisch wiederum das niederländische Start-up Energie365 und legten so die Basis für ihr Geschäft jenseits der Grenze. Knapp 300 Anlagen verknüpfen sie dort inzwischen – Tendenz steigend.
Innovative Projekte im Corona-Jahr
Darüber hinaus arbeiten die Deutschen im Nachbarland an innovativen Lösungen für die Netzstabilität. Gemeinsam mit dem Elektrizitätskonzern Tennet, ebenfalls DNHK-Mitglied, und dem Ladedienstleister Jedlix setzen sie seit März zum Beispiel E-Autos als Puffer ein. Gibt es einen Stromüberschuss, können die Batterien der Fahrzeuge ihn beim Laden kurzfristig aufnehmen und speichern. Ähnlich funktioniert ein Projekt mit den Energiedienstleistern Agroenergy und Tenergy: Bei Verbrauchsspitzen wird hier die Beleuchtung von Gewächshäusern kurzzeitig ausgeschaltet.
Die Stabilisierung ist aber nur ein Leistungsbereich für Next Kraftwerke. Der zweite ist der Stromhandel. „Mit den Daten aus dem Leitsystem des Virtuellen Kraftwerks können wir auch unsere Einspeiseprognosen lau-fend verbessern und den Strom aus den vernetzten Anlagen optimiert an der Spotbörse handeln“, erläutert Geschäftsführer Hendrik Sämisch. Der Clou für die kleinen Energieerzeuger, die im virtuellen Kraftwerk orga-nisiert sind: Sie können an den Börsen wie ein großer Player auftreten und erzielen bessere Preise. Ein Win-Win-Modell, das funktioniert. Schon seit 2013 schreibt das frühere Start-up schwarze Zahlen und erzielt in-zwischen einen dreistelligen Millionenumsatz.
Und Corona? Hat zusätzlichen Schwung gebracht. „Der Markt hat anfangs ziemliche Kapriolen geschlagen“, erzählt Jochen Schwill und verweist auf den Wegfall großer Verbraucher wie die deutschen Autobauer. „Hier für Ausgleich zu sorgen, ist unsere Kernkompetenz und die war sehr gefragt.“
Text: Katrin Brodherr Fotos; Next Kraftwerke GmbH
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Leiterin Mitglieder & Events