Welchen Einfluss hat Stress auf das Gehirn?
Immer mehr Young Professionals erleben einen Burn-out. Welchen Einfluss hat Stress auf die Gesundheit? Und wie kann man seinen Körper biohacken, um einem Burn-out vorzubeugen? Neurobiologe Ronald Siecker, DNHK-Mitglied und Direktor von Cheprion, gibt uns einen Rundgang durch das menschliche Gehirn.
Sie sind Arzt und Neurobiologe. Können Sie uns kurz erklären, was in unserem Gehirn geschieht, wenn wir Stress ausgesetzt sind?
Dann finden im Gehirn viele Prozesse gleichzeitig statt. Noch immer ist es so, dass ein Großteil unseres Gehirns auf die Lebensumstände von vor 200.000 Jahren ausgerichtet ist. Das heißt, Gehirn und Körper, denn man kann diese beiden nicht wirklich getrennt sehen, interpretieren ein Stressgefühl immer noch als Zeichen physischer Gefahr.
Wie äußert sich das genau?
In einer stressigen Situation, wie zum Beispiel bei einer Klausur, einer Präsentation oder einem wichtigen geschäftlichen Meeting, bereitet sich unser Körper auf einen Kampf vor. Unsere Muskeln werden mit mehr Blut versorgt, aber in Teilen unseres Gehirns wird daran gespart. Das kann dazu führen, dass wir uns zum Beispiel plötzlich nicht mehr an einen Text erinnern können.
Was geschieht, wenn wir längere Zeit unter Stress stehen?
Langfristiger Stress ist eine andere Sache. Mehr Menschen als je zuvor sind dem ausgesetzt. Der gemeinsame Faktor dabei ist, dass auch hier ein Mechanismus, der existiert, um uns beim Überleben zu helfen, sich ungewollt gegen uns richtet. Das kann ernsthafte Gesundheitsschäden verursachen und viel schwerere Folgen haben, als lange angenommen wurde.
Was sagen Sie dazu, dass es öfter jüngere Menschen sind, die mit einem Burn-out kämpfen?
Das hat nicht so sehr mit dem Alter zu tun, als vielmehr mit den Bedingungen, unter denen wir heute leben. Heutzutage werden wir mit mehr Informationen und Reizen attackiert als je zuvor.
Unser Gehirn wird oft mit einem Computer verglichen: Daher sollte es eigentlich unbedeutend sein wieviele Daten man dort speichert.
Es wird immer deutlicher, dass unser Gehirn sich wesentlich unterscheidet von einem Computer und nach grundlegend anderen Prinzipien funktioniert. Ein Problem ist, dass ein Teil unseres Gehirns sich sehr gut dieser Informationsflut anpassen kann und danach sogar fast süchtig wird. Ein anderer, primitiverer Teil unseres Gehirns reagiert entgegengesetzt. Dieser Unterschied kann zu „Systemstörungen“ führen, sogar wenn wir diese nicht bewusst wahrnehmen.
Stress ist natürlich auch immer mit Reizüberflutung verbunden. Was können wir dagegen tun?
Vieles. Das Einfachste ist eigentlich ein gesundes Selbstmanagement. Wir sollten so mit unserem Körper und unserem Gehirn umgehen, dass diese optimal funktionieren. Meist fühlen wir uns dabei auch gut.
Also muss man seinen eigenen Körper sozusagen ‚hacken‘?
Wenn wir die richtige Technik einsetzen, sind wir in der Lage, die Art wie unser Gehirn auf Stress reagiert, upzugraden. So können wir viel leichter damit umgehen. In meinem Vortrag für die DNHK Young Professionals, werde ich dazu sehr viel mehr erzählen und auch demonstrieren. Das Wichtigste, was wir benötigen, ist eine bessere Kenntnis unserer Gehirn- und Körperfunktionen. Viele unserer Probleme entstehen aus einer Fehlinterpretation der Signale, die unser Körper abgibt. Wir leben wir in einer Zeit, in der viele Menschen ihr Handy besser kennen als ihren eigenen Geist.
Das Gehirn braucht Zeit, um sich zu erholen. Sie behaupten aber, dass Ruhe auch ein Risiko bedeuten kann. Können Sie das näher erklären?
Ja, das hört sich eigenartig an, nicht wahr? Aber was ich damit meine, ist Folgendes: In der Natur ist die Notwendigkeit der Ruhe und des Schlafs ein großes Risiko. Die Tatsache, dass wir uns täglich etwa ein Drittel der Zeit in einer Art komatösem Zustand befinden, macht uns sehr verletzlich für Prädatoren und anderen Gefahren. Auch heute wirkt sich das noch aus: Einbrüche finden aus gutem Grund überwiegend nachts statt. Trotzdem brauchen alle höheren Tierarten den Schlaf. Schauen Sie mal, wie viel Zeit Hunde und Katzen schlafend verbringen.
Wie verhält sich diese Tatsache zum Stressabbau?
Sie zeigt, wie wichtig Ruhe und Schlaf wirklich sind. Unser Körper ist dazu gemacht, unsere Überlebenschancen zu erhöhen. Wenn es möglich wäre, dieses Risiko zu vermeiden, hätte die Natur das sicher so eingerichtet. Aber Ruhe ist so viel mehr als nur das Aufladen unserer Batterien. Sie ist buchstäblich lebenswichtig.
Was ist Ihr wichtigster Tipp an Young Professionals, die Burn-out-gefährdet sind?
Trotz den Diskussionen, die unter Ärzten zu diesem Thema noch geführt werden, ist ein Burn-out sicher eine ernsthafte Erkrankung. Man kann daran sogar sterben. Leider wird sie jetzt noch zu leichtfertig betrachtet. Die offizielle Diagnose für Überlastung und Burn-out besteht aus einer Liste mit nicht weniger als acht Kriterien, wie zum Beispiel Müdigkeit und sich Sorgen machen, die erfüllt werden müssen.
Bei Studien, die von meinem Unternehmen geführt wurden, für die wir sowohl Körper- als Gehirnfunktionen der Burn-out-Patienten gemessen haben, fanden wir an die 20 verschiedene Mechanismen, die zu sehr unterschiedliche Arten von Burn-out führen können.
Wir Menschen sind sehr unterschiedlich, innerlich noch mehr als äußerlich. Dieses bringt mich wieder zu meinem ersten Punkt: Der erste Schritt sich mit Überlastung zu befassen, ist es, sich selbst – sowohl körperlich als geistig – gut zu kennen. Das Verhalten, das bei anderen eine heilende Wirkung hatte, kann sich bei dir völlig anders auswirken.
Was können Arbeitgeber tun, damit ihre Arbeitnehmer nicht im Stress untergehen?
Für Arbeitgeber ist es wichtig, rechtzeitig festzustellen, wann es mit einem Angestellten schiefläuft. In meinem Vortrag für die DNHK werde ich auch einige Symptombeispiele, die auf einen Burn-out hinweisen können, erörtern, damit man diese besser erkennt.
Sie wollen mehr über das Thema erfahren? Am 5. März organisieren die DNHK Young Professionals in Zusammenarbeit mit Jong TNO ein Event, bei dem Stressabbau im Fokus steht. Neurobiologe Ronald Siecker, Direktor von Cheprion, wird einer der Sprecher sein.