Deutschland und die Niederlande in herausfordernden Zeiten
In den letzten zwanzig Jahren, zumeist als Parlamentarier, habe ich viele politische Krisen und Entscheidungsmomente erlebt. Manch einen dieser Momente hätte man sogar als Zeitenwende bezeichnen können. Dennoch überrascht mich die Kombination internationaler Krisen, die uns aktuell durchschüttelt.
Ein Blick auf die Tagesordnung im Haushaltsausschuss macht mir zugleich jeden Tag aufs Neue deutlich, wie groß die finanziellen Auswirkungen sind. Krisen wie diese kann man nicht allein bewältigen; in Krisen wie diesen benötigt man Nachbarn, denen man vertraut.
Bewährungsprobe für Europa
Lange bestehende Spannungen zwischen der Ukraine und Russland sind leider in das Szenario übergegangen, das fast alle in Europa zu vermeiden versucht haben. Die russische Invasion in die Ukraine verändert die Diskussion über Sicherheit und Frieden in Europa fundamental. Die Bilder aus Butscha und die Berichte von Geflüchteten aus der Ukraine zeigen uns klar, wie sehr wir in unseren Hoffnungen auf Frieden in Europa enttäuscht wurden. Die europäische Antwort darauf muss vor allem deutlich sein. Das zeigt deutlich: Selbst ein guter Nachbar – und das sind die Niederlande und Deutschland ohne Zweifel füreinander – genügt in der heutigen Welt nicht mehr. Es bedarf ein geeintes Europa und das haben beide Länder erkannt. Die nächsten Monate werden für die überzeugten Europäer eine harte Bewährungsprobe sein. Steigende Zinsen und Inflation ergänzen die notwendigen Mehrkosten durch Corona und durch die Ukraine-Krise. Der Versuch die Probleme grundsätzlich lösen, scheint alte Grenzen zwischen Süd und Nord zu überwinden. Das hat spätestens das gemeinsame Papier der Niederlande und Spaniens gezeigt.
Groninger Gas durch deutsche Pipelines
Durch den Krieg in der Ukraine ergeben sich für die Energiepolitik neue alte Fragen, für Deutschland mehr als für die Niederlande. Auch ohne die Gaspipeline Nord Stream 2 ist Russland bisher der mit Abstand größte Erdgaslieferant Deutschlands. Mehr als die Hälfte des importierten Gases stammen von dort. Die Niederlande sind nach Norwegen der drittgrößte Lieferant. Die ehrgeizigen Ziele des Koalitionsvertrags und der Konflikt mit Russland zeigen ein Spannungsfeld in der grenzüberschreitenden Energiezusammenarbeit auf. Während also die Bedeutung des Gasimports für Deutschland aus dem EWR-Raum steigt, planen die Niederlande die Gasförderung aus großen Erdgasfeldern herunterzufahren. Die Erfahrungen mit Erdbeben in Groningen führen zu Ängsten der dortigen Bewohner über die Sicherheit ihrer Heimat. Gleichzeitig ist aus deutscher Perspektive die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen besonders wichtig geworden. Die Zielkonflikte in dieser Frage könnten das Verhältnis unserer Länder verbessern oder erschweren, je nachdem wie pragmatisch, aber doch verantwortungsvoll die Probleme gelöst werden.
Gemeinsame Aufgaben
Ich bin kürzlich gefragt worden, was ich – abseits von Fußballfragen – für das größte Risiko der deutsch-niederländischen Beziehungen halte. Die Antwort scheint mir in der Frage zu liegen, wie wir unser soziales Miteinander und unsere europäische Lebensart erhalten können, wenn die größte Marktwirtschaft Europas und ihr zweitgrößter Handelspartner schrumpfen sollten. Gemeinsam stehen wir vor großen Transformationsaufgaben. Diese Aufgaben zu bewältigen, wird teuer. Da werden die Verlockungen einer kurz- bis mittelfristigen, lockeren Schuldenpolitik immer größer. Hier bin ich gespannt, wohin die Reise für die Niederländer gehen wird. Ich vertraue dabei, schon oft erfolgsgekrönt, auf den Kaufmann und die Kauffrau sowie mehr Besuche zwischen Nordsee und Spree.
Text: Otto Fricke, Haushaltspolitischer Sprecher der FDP & Vorsitzender der Deutsch-Niederländischen Parlamentariergruppe
Foto: Christian Kaufels